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Nur die Engel waren Zeuge

 

 

 -- Romanszene --

 

als Youtube -Trailer

 

 

oder als Text:

 

Dreißig Jahre zuvor
1984, Samstag, 21. April, 20:30 Uhr
Hamburg, Wagnerstraße


Marius lag auf der Couch und verschlang sein Buch, den
Fantasythriller Nichts ist, wie es scheint.

Er war auf der vorletzten Seite angelangt.
Raahh hatte seine letzten Vorbereitungen getroffen. Nun versammelte
er alle Dämonen um sich, und dann holten sie aus zum
letzten großem Angriff gegen die Liebe.
Die Dämonen fühlten sich siegessicher. Ja, sie würden bei
ihrem Angriff gegen die Liebe als Sieger hervorgehen.
Nur noch ein ganz klein wenig, dann war es vollbracht. Sie
glaubten, den Engeln für immer überlegen zu sein. Endlich!
Nichts war von ihnen zu sehen. Sie lauschten. Nichts war
von ihnen zu hören. Nichts von ihnen zu spüren. Sie machten
sich bereit für ihr letztes Werk.
Es ertönte ein leises Summen.
Plötzlich sauste etwas Undefinierbares durch die Luft und
erschütterte mit einem großen Knall die Erde …

 

 

Bevor Marius umblättern konnte, hörte er Bremsen
quietschen und es laut krachen. Er schrak zusammen. Nur
langsam tauchte er auf in die Gegenwart. Mit Verzögerung
schalteten seine Gedanken um, von dem Knall im Buch zu
dem Knall bei sich zu Hause.
Bestimmt war ein Unfall passiert. Er sprang auf und
lief neugierig zum Fenster mit Blick zur Straße. Er sah den
Lkw, das aufgefahrene Auto und dann den Ball.
Katis Ball.

 

Sein Herz raste. Er rannte nach draußen. Auf halbem
Weg sah er sie neben dem großen Lastkraftwagen liegen.
»Kati«, schrie Marius. Er stürzte zu ihr. Blutüberströmt
lag sie auf der Straße und zitterte. Marius zitterte ebenso
vor Panik. Er beugte sich über sie. Ganz sacht streichelte er
ihre Wange. »Kati, sag doch was«, flüsterte er.
Kati sah ihn an und versuchte zu antworten. Sie hustete
und spuckte Blut. Marius beugte sich tiefer und hörte sie
flüstern.
»Es ist alles gut. Mein Schutzengel ist da und holt
mich.« Dann wurde sie ohnmächtig und verstarb.
»Nein«, schrie Marius. Er sprang auf, stand einen
Augenblick neben ihr und sah sie wie betäubt an. Ihm kam
es vor, als versetzte auch ihm jemand einen Todesstoß ins
Herz. Ihm wurde schwindlig. Heftig schnappte er nach
Luft. In seinen Ohren rauschte es. Tränen schossen ihm in
die Augen, und er fing an zu weinen.
Der Fahrer, der dem Lkw hinten aufgefahren war,
versuchte, ihn zu trösten. Der ebenfalls sechzehnjährige
Rainer Harms rannte aus dem Nachbarhaus auf ihn zu.
Marius fiel seinem Freund in die Arme. »Sie ist tot«,
schluchzte er. »Einfach überfahren.«
Rainer sah den Mann in seinen Lkw steigen und den
Motor anlassen. Er drückte Marius von sich und wies nach
vorn. »Schau mal, fährt der Mann jetzt weg? Er hat den
Motor an.«
Marius drehte sich um.
»Hey, Sie da, wollen Sie einfach abhauen?«, rief Rainer.

Marius reagierte ohne nachzudenken und lief zu der
noch offen stehenden Fahrertür. Er beugte sich vor. Der
Fahrer sah ihn kurz an und knallte seine Tür zu.
Marius wich zurück und spürte einen scharfen
stechenden Schmerz. Er kreischte.
Der Lkw-Fahrer gab Gas und fuhr davon.

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